Aus der Rubrik »Das Ich – Ein Algorithmus?«
Disko Jutta steht seit sechs Jahren als Drag-Queen in der Öffentlichkeit. Als Hausdame in der Schwulen Sau, einem 30 Jahre alten Szeneclub in Hannover, als DJane und auf diversen Veranstaltungen zieht sie alle Blicke auf sich. Wir haben mit ihr über Drag und Geschlechterverhältnisse gesprochen.
Die Faszination für Kleider und Schminke begann für Disko Jutta schon lange bevor es sie überhaupt gab: als kleiner Junge. Bis heute reizt sie besonders die Verwandlung, der künstlerische Vorgang, den sie liebevoll als „auftransen“ beschreibt. Mit Schminke und Kleidung zu experimentieren, bereitet ihr einfach große Freude.
Ihre Anfänge liegen dabei nun schon einige Jahre zurück. Nach einer Party an Weihnachten beschloss sie, von nun an öffentlich und mit einer gewissen Ernsthaftigkeit aufzutreten. Nach und nach erschuf sie ihren Charakter, verbesserte ihren Look. Disko Jutta erinnere sie an eine in die Jahre gekommene Wirtin, ihr Lieblingsgetränk Chantré – RiverCola serviert sie gleich mit. Sie hat etwas Mütterliches und das mögen auch die Gäste. Vor allem sei die Figur Disko Jutta aber eine Ode an die Weiblichkeit.
Dabei ist ihr durchaus bewusst, dass Drag dann und wann mit Klischees von Weiblichkeit spielt. Dieses Spiel geschehe in ihrem Fall jedoch immer liebevoll und mache sich keineswegs über Weiblichkeit generell lustig. Sie präsentiere lediglich eine Facette von Weiblichkeit, die auch bei heterosexuellen Männern zu wenig Verunsicherung führe. Auch Männlichkeit stellt Drag, Disko Jutta zufolge, nicht in Frage, weder ihre eigene, noch die von anderen. Dies sei jedoch vor allem ihrem Drag-Charakter zuzuschreiben, der nicht zu sexy daherkomme und deswegen kaum provoziere. In ihrer Funktion in der Schwulen Sau ist das von Vorteil. Als Club-Mutti übernehme sie, ihrem Drag-Charakter folgend, viele mütterliche Aufgaben: Den Menschen zuhören, ihnen emotional zur Seite stehen und sich um sie kümmern.
Für Disko Jutta ist Drag aber vor allem eine Kunstform, spezifischer, eine Kunstform der Clubkultur. Sie besteht nicht nur aus der Verwandlung in den Drag-Charakter selbst, sondern oft auch aus einer Bühnenshow. So gesehen sei Drag nicht nur queeren Personen vorenthalten, findet Disko Jutta.
Trotz dessen sind die politischen Ursprünge des Drag auch heute noch spürbar. Sie liegen in den Stonewall Riots, einer politischen Protestbewegung für die Rechte von LSBTIQ+ Personen. Der Christopher Street Day, kurz CSD, ist eines der wichtigsten Reminiszenzen an diese Zeiten des Umbruchs und eine der größten Veranstaltungen, um sich als Disko Jutta einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen.
Ob es Drag in dieser Form auch in Zukunft geben wird? Disko Jutta ist sich nicht sicher. Ihrer Meinung nach machen sich die Menschen unter 20 heute weniger Gedanken um das Geschlecht, mögen keine Kategorien oder Schubladen. Eine Auflösung der Geschlechter? Für Disko Jutta ist dies zumindest denkbar.
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Mehr zur Geschichte des Drag und seinen Ursprüngen gibts es hier.
Ihr habt Lust euch zu engagieren? Dann schaut beim andersraum oder beim CSD Hannover vorbei.
Ein Artikel von Rachel Bleiber