Aus der Rubrik »Geschlecht & Gesellschaft«
CW: Sexualisierte Gewalt
The State of the Art
Die Porno-Industrie hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Amateurpornografische Inhalte – oder wie Paulita Pappel es ausdrücken würde – dokumentarpornografische Inhalte sind heute überall kostenfrei für jeden abrufbar. Auf der Produktionsseite heißt das: Immer mehr Menschen erstellen in Eigenregie pornografisches Material, veröffentlichen diesen Content selbst und behalten damit auch die Rechte und Kontrolle über ihre Produkte. Zwar machen sich die Produzent*innen damit unabhängig von großen Produktionsfirmen, die noch vor einigen Jahren das Business steuerten, auf geeignete Plattformen, die ihre Inhalte veröffentlichen, sind sie aber trotzdem angewiesen. Und diese verdienen sich an fremden Inhalten eine goldene Nase. Immerhin: Der Porno gelangt immer weiter heraus aus der Schmuddelecke. Und: Heute sind schätzungsweise 30-40 Prozent aller Konsument*innen Frauen.
Das war nicht immer so: Der Porno war viele Jahren lang ein Medium, das von Männern für Männer produziert wurde. Woran das liegt? Paulita Pappel sagt, Männer würden früh darin unterstützt sich mit der eigenen Sexualität zu beschäftigen. Schon in Kindertagen unterscheidet sich die Aufklärung von Mädchen und Jungen immens und weiblichen Kindern werde weniger Raum eingeräumt sich mit ihrer eigenen Sexualität auseinanderzusetzen. Zudem sei die sexuelle Aufklärung von Mädchen und jungen Frauen sehr angstbesetzt. Statt sie zu ermutigen sich als sexuelles Wesen zu begreifen, hören sie vor allem zweierlei Geschichten:
- Das Märchen von der Liebe als pure Erfüllung und höchstes Gut
- Die Horrorgeschichte von der Frau, die nachts auf der Straße überfallen wird
Dass die meisten Frauen sexalisierte Gewalt in ihrem eigenen Haushalt oder der nächsten Umgebung erfahren, werde hingegen verschwiegen.
Nun also Porno für Frauen?
Nein. Stattdessen: Feministischer Porno. Er fragt danach, wie Geschlechter in der Gesellschaft repräsentiert werden und versucht dies in der Produktion zu berücksichtigen. Dabei muss feministischer Porno kein Porno für Frauen sein. So oder so: Die Vorstellung davon, was Frauen in Pornos sehen wollen, sei in vielen Fällen ungenügend. Nicht in jedem feministischen Porno muss es soft zugehen und nicht alle Frauen bestehen darauf, dass der Porno auch eine Geschichte erzählt. Egal ob Gangbang oder SM, alles könne in pornografischen Filmen feministisch abgebildet werden.
Beeinflussen die Bilder, die wir sehen, unsere Sichtweise auf die Welt?
Nicht nur Videospielen wird immer wieder vorgeworfen, sie hätten einen schlechten Einfluss auf uns Menschen. Dies sei aber unbegründet: Ihren Zuschauer*innen traut Paulita Pappel ohne Weiteres zu zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Trotzdem wird die Forderung von Repräsentation unterschiedlicher Lebensrealitäten in visuellen Medien immer lauter – nicht nur in Spielfilmen oder Videospielen, sondern auch in der Erwachsenenunterhaltung.
Diese Forderung sei berechtigt, denn Porno ist ein Medium, welches sich genau wie die anderen Medien erst im Prozess befindet, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Gesellschaft und der sexuellen Vorlieben abzubilden. Sicher reproduziere Porno in vielen Fällen sexistische, rassistische oder transfeindliche Haltungen der Gesellschaft. Pornografie aber alleine für diese verantwortlich zu machen, greife zu kurz. Paulita Pappel findet dafür ein spannendes Bild:
Es ist so, als würden wir in ein Auto steigen, ohne vorher gelernt zu haben, wie man fährt. Natürlich bauen wir Unfälle. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen dem Auto die Schuld an dem Unfall zu geben. Stattdessen würde man sich Gedanken über die Notwendigkeit von Fahrschulen machen.
In Bezug auf Porno heißt das: Wir brauchen eine wertfreie und enttabuisierte Kommunikation über Sexualität. Porno kann hier als Türöffner fungieren, uns zu einer selbstbestimmten Sexualität ermutigen, von gesellschaftlichen Normen befreien und ein positiver Raum der Inklusion werden. Gute oder schlechte Pornos? Vielleicht ist das gar nicht so wichtig. Hauptsache wir kommen miteinander ins Gespräch!
Mehr über Paulita Pappel gibt es auf ihrem Twitter-Account.
Ein Artikel von Rachel Bleiber