Aus der Rubrik »Geschlecht & Gesellschaft«
Schwangerschaft ist schon längst keine Privatsache mehr. Seit einigen Jahrzehnten treten schwangere Personen heraus aus dem System Familie, heraus aus dem Raum des Privaten und der Ehe und hinein in die politischen Diskurse unserer Zeit. Schwangere drängen sich auf und sind nicht nur aufgrund ihres runden Bauches kaum zu übersehen. Ihnen widmet sich Antje Schrupp in ihrem Essay Schwangerwerdenkönnen.
Biologie und Kultur hängen unmittelbar zusammen.
Weil das so ist, manifestiert bereits unser Sprachgebrauch die Stellung der schwangeren Personen in unserer Gesellschaft. Sie trägt aus, wo er erzeugt. Sie bildet mit ihrem Uterus den Nährboden, in den das Sperma (altgriech. Samen) eingepflanzt wird. Sie bleibt passiv, wo er aktiv ist. Selbstverständlich liegt dieser sprachlichen Beschreibung eine falsche Annahme zugrunde: Aus Eizelle und Ejakulat entsteht nur gemeinsam etwas Neues: Ein Embryo in partnerschaftlicher Zusammenarbeit.
Dennoch: Schwanger werden kann nur eine der Zeugenden. Diese Person trägt fortan die Verantwortung für den Embryo, der im Laufe der Zeit zu einem neuen Leben heranwächst. Übertragen lässt sich diese Aufgabe nicht. Die schwangere Person muss also einerseits auf die Unterstützung durch andere hoffen, darf andererseits aber nicht alleine über den Embryo bestimmen, wenn diese Hilfe ausbleibt.
Strafgesetzbuch (StGB)
§ 219 Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage
(1) Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt. Die Beratung soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzuhelfen. Das Nähere regelt das Schwangerschaftskonfliktgesetz.
Schuld ist das historisch gewachsene Patriarchat.
Seit Anbeginn der Zeit ist unsere Gesellschaft und Kultur nicht vollumfänglich für Frauen, Mütter oder Schwangere gebaut. Schwangere Personen waren nur für den häuslichen Bereich vorgesehen, ihre Schwangerschaft war gleichbedeutend mit anschließender Care-Arbeit und schon das Potential schwanger werden zu können, genügte für einen Ausschluss aus dem Arbeitsleben. Erst im Laufe der Jahrzehnte wurden Frauen und Menschen mit Uterus Rechte zugesprochen, für die Männer nie kämpfen mussten. Heute ist das schwangerwerdenkönnen und das Elternteil sein nicht mehr nur Frauen vorbehalten, doch eine Umstellung des historisch gewachsenen Systems bleibt mühsam. Statt der reproduktiven Differenz wird heute die Geschlechterdifferenz genutzt, um das patriarchale System aufrecht zu erhalten und somit Reproduktion zu steuern.
Damit einher geht für schwangere Personen eine grundsätzliche Entrechtung z.B. die Einschränkung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung. Vergessen dürfen wir auch nicht, dass reproduktive Selbstbestimmung auch bedeutet, dass mensch schwanger werden darf. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigen die Diskussionen um schwangere Menschen mit Behinderung oder die gesetzliche Regulation der Reproduktion in China.
Wie können wir also in Zukunft selbstbestimmte Reproduktion ermöglichen und dabei gleichzeitig unsere gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen?
Ein Modell von Antje Schrupp
- Zuerst sollten wir unterscheiden zwischen einem geborenen Kind und einem Embryo.
- Schwangerwerdenkönnen bedeutet den eigenen Körper 9-10 Monate einem neuen Leben zur Verfügung zu stellen. Schwangere Personen leben zu diesem Zeitpunkt in einem neuen Zustand des 2-in-1-Lebens. Das bedeutet, dass sie ein Stück weit ihre Individualität abgeben und Care-Arbeit leisten, die man nicht delegieren kann. Diesem Dienst sollte man Respekt entgegenbringen.
- Sobald aus dem 2-in-1-Leben zwei Leben werden, also nach der Geburt, trägt die Gesellschaft die Verantwortung für das Kind. Um dieser Transformation auch symbolisch Rechnung zu tragen, sollte es eine Übergangszeit geben, ein Ritual, im Zuge dessen das Kind Teil der Gesellschaft wird. In dieser Zeit muss die schwangere Person (und sie allein) eine Entscheidung treffen, wie das Kind vergesellschaftet wird. Sie muss die Frage beantworten, wer Verantwortung für das Kind trägt, also Eltern wird. Diese Entscheidung darf nur sie treffen, niemand anders.
- Die Gesellschaft ist wiederum verantwortlich dafür, Strukturen zu schaffen, die unterschiedliche Familienmodelle ermöglichen. Neue Reproduktionstechnologien können und sollten genutzt werden, um Freiheiten zu ermöglichen, statt ein heteronormatives Familienmodell zu unterstützen.
Ein Beitrag von Rachel Bleiber