Aus der Rubrik »Das Ich – Ein Algorithmus?«
Soziologie ist die Wissenschaft darüber, wie Gesellschaft funktioniert.
Dr. Thorsten Peetz arbeitet sich gerne an gesellschaftlichen Normen ab. Er untersucht welche unterschiedlichen gesellschaftlichen Logiken in der Religion, der Intimität und der Wirtschaft gelten, wo diese aufeinander treffen und wo Reibungen zwischen ihnen entstehen. Er fragt sich: Was passiert, wenn die Ökonomie in andere Bereiche des Lebens wie z.B. in die Intimsphäre eingreifen? Wo werden Menschen zur Ware und was macht die Profitorientierung mit intimen Beziehungen? Momentan untersucht er die gesellschaftliche Praxis des Bewertens am Beispiel von Dating-Apps.
Hier, so heißt es häufig, wird jedem angemeldeten Subjekt ein Wert zugesprochen: Es muss sich auf dem Markt beweisen. Anhand eines Profiles bekommen wir angezeigt, was das Gegenüber uns zu bieten hat und wir entscheiden dann, ob es uns gefällt. Wir setzen uns wiederum der Bewertung durch andere aus und warten gespannt auf ein Match: Eine gegenseitige positive Bewertung. Erst dann können wir in einem Chat miteinander ins Gespräch kommen.
Findet auf der App also eine Ökonomisierung unseres Selbsts statt?
Ganz so einfach ist es nicht. Immerhin handele es sich beim Bewerten auf Dating-Apps um intime Bewertungen, die nicht öffentlich einsehbar sind und somit keinen Vergleich der unterschiedlichen Teilnehmenden biete. Zudem bewerte jede Person sein Gegenüber anhand individueller Kriterien mit unterschiedlichem Gewicht und diese sind wiederum geprägt von gesellschaftlichen und individuellen Vorstellungen einer guten intimen Beziehung. Wir erkennen zwar, ob wir ein Match erhalten, aber nicht ob wir weniger oder mehr Matches erhalten als andere (also beliebter oder unbeliebter als diese sind). Dies könne sich vielleicht negativ auf unser Selbstwertgefühl auswirken, aber auch positiv empfunden werden, wenn wir uns in ihm bestätigt sehen.
Trotzdem: Das Erstellen eines Profiles fühlt sich ein bisschen an wie eine Feuerprobe.
So viele Fragen: Wer bin ich? Wie möchte ich mich präsentieren? Was ist wichtig über mich zu sagen, was lasse ich lieber weg, weil es abschreckend sein könnte? Welche Menschen möchte ich gerne ansprechen, von wem will ich mich distanzieren? Wie kaum ein anderes Medium bieten uns Dating-Apps eine Möglichkeit der Selbstpräsentation in der Öffentlichkeit und vereinfachen uns die Selbstdarstellung. Dies sei übrigens eine Grundform des Seins und damit weder ungewöhnlich, noch besonders schädlich. Stattdessen sei es ganz natürlich, dass wir kontrollieren wollen wie andere uns wahrnehmen und diese Kontrolle erhalten wir in Dating-Apps, genau wie in anderen Sozialen Medien.
Wie stellen wir uns nun also gerne da? Gibt es vielleicht sogar Geschlechter-Unterschiede in der Darstellung?
Laut Dr. Thorsten Peetz gäbe es auf der Bildebene zwei Möglichkeiten der Darstellung: Wir inszenieren unseren Körper und den Raum, in dem sich der Körper befindet. Damit erzählen wir einem potentiellen Match wer wir sind, was wir mögen und welche Qualitäten wir mitbringen. Wie raffiniert wir diese Geschichte erzählen können, ob wir nur direkt oder auch indirekt kommunizieren, das sei abhängig von unserem Geschlecht, aber auch von unserer sozialstrukturellen, milieuspezifischen Verortung.
So wäre es bei Männern beliebt direkte, explizite Darstellungen des Körpers beim Sport oder oberkörperfrei zu zeigen. Im Fitnessstudio oder auf Urlaubsfotos präsentieren sie sich häufig abenteuerlustig, aktiv und sportlich. Eine größere Bandbreite von Fotos bekämen wir von Frauen zu sehen: Ihre Selbstdarstellungskompetenz sei im Durchschnitt höher als die der Männer, d.h. sie können sich viel differenzierter präsentieren und erhöhen damit die Chance die richtige Person für sich zu finden.
Und wie verändern Dating Apps nun die Art wie Beziehungen geführt werden?
Das Design legt nahe, dass es nicht um langfristige Beziehungen geht, sondern um kurzlebige Bekanntschaften. Es arbeitet mit Mitteln der Gamifikation. Der Sound, die Optik, das Design – belohnt wird, wer sich viele Profile anschaut und häufig Matches erzielt. Das Wischen und das Stapeln von Kontakten, welches uns keinen direkten Vergleich mehrerer Profile ermöglicht, folgt einer Dramaturgie: Wer oder was erwartet uns als nächstes?
Dr. Thorsten Peetz drückt es so aus: Dating-Apps bieten die Möglichkeit intime Beziehungen von unterschiedlicher Dauer entstehen zu lassen und das ziemlich erfolgreich. Dass daraus lediglich flüchtige Beziehungen entständen, ließe sich nicht sagen. Eher laden Dating-Apps dazu ein unterschiedliche Beziehungsmodelle auszuprobieren und eine freie Sexualität zu leben. Gerade abseits heteronormativer Zweierbeziehungen ermutigen sie durch eine größere Auswahl an Bekanntschaften eine offene Kommunikation darüber, was wir uns in einer intimen Beziehung wünschen und was nicht. Zudem erhalten wir die Möglichkeit uns ortsunabhängig und milieuübergreifend kennenzulernen. Dies könne – in vielen, vielen Jahren – sogar der Einsamkeit und Isolation im Alter etwas entgegen setzen.
Mehr über Thorsten Peetz findet ihr auf seiner Website und auf Twitter.
Ein Artikel von Rachel Bleiber